Der Fall des Leonardo Boff, lateinamerikanischer Befreiungstheologe
Leonardo Boff (* 14.12.1938) gilt als einer der einflussreichsten Vertreter der Befreiungstheologie in Lateinamerika mit weitem Ausstrahlwinkel in die Kirche und ausserkirchliche, christliche sog. "Basisgemeinden".

Die Thesen Boffs aus seinem Buch "Charisma und Amt" sind in etwa wie folgt umrissen:

Die „wahre Kirche“ sei die Kirche des Heiligen Geistes gegenüber der „falschen“ Kircheninstitution mit ihren angeblichen Machtansprüchen über die Gläubigen - wobei hier die Reformation als Beleg angeführt wird.

Er kritisierte einen angeblich von der Kirche hochgehaltenen dogmatischen Sakramentalismus. In der lebendigen, prozessualen Kirche der Armen liege die Zukunft - diese habe bereits konkret Gestalt angenommen in über 100.000 Basisgemeinden allein in Brasilien und viele weitere in ganz Lateinamerika. Als echtes Prinzip des „Sakraments des Heiligen Geistes“ besteht für ihn das „Charisma“ als „Organisationsprinzip.

Laut Boff hätte Jesus Christus angeblich keine bestimmte Kirchengestalt befohlen, deshalb könnten auch andere Kirchenmodelle aus dem Evangelium heraus bestehen. Offenbarung und Dogma spielen bei Boff nur eine untergeordnete Rolle, weshalb kein ausreichender Schutz gegen häretische Verzerrungen des christlichen Glaubens gegeben sind, da Boff in einem Kapitel sogar die Elemente des „Synkretismus“ der Volksfrömmigkeit als "befreiend" dargestellt hat; Boff wirft der gesellschaftliche Funktion der Kirchenhierarchie „religiöse Ausbeutung“ der Hoffnungen des armen Volkes vor. „Von oben“ angebotene Vergebung kritisiert er als "paternalistisches Sakramentsverständnis": (Zitat) „Die Kirche der Reichen für die Armen verneint die Macht des Volkes, sich zu befreien.“ Die Kurie verweigere den Dialog mit dem Volk selbst; europäisch geprägte Theologen könnten die reale Glaubenserfahrung der Armen in den Slums nicht nachvollziehen. Ihre Dominanz könne nur zu weiterer Marginalisierung der Armen, politischer Machtkonzentration und kirchlich-institutioneller Hybris führen. Dagegen wollte er die Macht der Kirche im „Dienst“ der lebendigen, sich verändernden Kirche der Armen, die ihr Leben mit dem Volk teilt und Privilegien abbaut, begründen. ...

Im Jahr 1985 erteilte ihm die Kirche das Rede- und Lehrverbot, welches 1991 erneuert wurde. Nach einer Intervention Kardinal Ratzingers und des Bischofs von Petrópolis, José Fernandes Veloso, musste er die Leitung der katholischen Zeitung Revista Vozes niederlegen.

Im Juni 1992 trat er aus dem Franziskanerorden aus und ließ sich in den Laienstand versetzen.

(PH)