Über die Funktion der klassischen Philosophie des gesunden Menschverstandes in der Auseinandersetzung mit dem Modernismus - oder - Wie ein Modernist um den gesunden Menschenverstand herum irrlichtert
"(...) Die Philosophie, besser gesagt die Wissenschaft, hat somit das Recht, über die Gottesidee Erkenntnisse anzustellen, sie in ihrer Entwicklung zu regeln und sie zu korrigieren, falls sich etwas Fremdes eingeschlichen hat.

Die modernistische Seite stellt daher die Forderung, die religiöse Entwicklung mit der moralischen und der intellektuellen zu verbinden, oder, nach den Worten eines ihrer Wortführer, sie ihnen unterzuordnen.

Der Mensch kann einen Zwiespalt in sich selbst nicht ertragen. Selbst der Gläubige fühlt sich mit innerer Notwendigkeit zu einem Ausgleich zwischen Glauben und Wissen gedrängt, um in seine allgemeine wissenschaftliche Weltanschauung keine Dissonanz zu bringen.

Damit ist die völlige Unabhängigkeit des Glaubens von der Wissenschaft erwiesen, während der Glaube, trotz Proklamation der Trennung beider, sich doch der Wissenschaft beugen muß. Dem gegenüber, ehrwürdige Brüder, hat Unser glorreicher Vorgänger, Papst Pius IX., betont [9]:

In allem, was die Religion betrifft, hat die Philosophie nicht zu herrschen, sondern zu dienen. Sie hat nicht vorzuschreiben, was man glauben muß, sondern es in vernünftiger Unterwerfung anzunehmen. Es ist nicht die Tiefe der göttlichen Geheimnisse zu ergründen, sondern vielmehr diese in kindlicher Demut zu verehren.

Die Modernisten stellen dies allerdings auf den Kopf. Auf sie läßt sich daher anwenden, was Unser Vorgänger, Gregor IX., über einige Theologen seiner Zeit schrieb [10]:

Einige unter Euch sind vom Geist der Eitelkeit aufgebläht und versuchen, durch profane Neuerungen, die von den Vätern gesetzten Schranken zu durchbrechen. Sie wollen den Sinn der Heiligen Schrift … nach den philosophischen Lehren der Vernunft beugen, um mit der Wissenschaft zu prunken, nicht um ihre Hörer zu fördern … . Durch allerlei fremde Lehren in die Irre geführt, machen sie den Kopf zum Schwanz und zwingen die Königin, ihrer Magd zu dienen.

Noch deutlicher ist dies zu erkennen, wenn man die Handlungsweise der Modernisten betrachtet, welche in besonders guter Weise zu ihrer Lehre paßt.

Ihre Schriften und Reden sind voll von scheinbaren Widersprüchen, so daß man leicht glauben kann, sie würden schwanken und wären ihrer Sache nicht sicher. Dies geschieht jedoch aus voller Überlegung. Es ist der Ausfluß ihrer Anschauungen über die Trennung von Glauben und Wissen.

Manche Ausführungen in ihren Büchern könnte ein Katholik vollständig unterschreiben. Wenn man jedoch das Blatt wendet, könnte man glauben, ein Rationalist führt die Feder. Schreiben sie Geschichte, ist von der Gottheit Jesu Christi nicht die Rede. Steigen sie jedoch auf die Kanzel, dann bekennen sie dieselbe ohne Bedenken. Schreiben sie Geschichte, dann gelten für sie Konzilien und Väter gar nichts. Dahingegen werden in der Katechese beide wieder mit Ehrfurcht zitiert. So wollen sie auch die theologische, pastorale Exegese von der wissenschaftlichen, geschichtlichen trennen.

Nach dem Prinzip, daß die Wissenschaft vom Glauben durchaus abhängig ist, treten sie in ihrer Philosophie, Geschichte oder Kritik ungescheut in die Fußstapfen Luthers. Prop. 29, verurteilt durch Leo X. in der Bulle „Exsurge Domine“ vom 16. Mai 1520: Wir haben einen Weg gefunden, die Autorität der Konzilien zu vernichten, ihren Verhandlungen frei zu widersprechen, ihre Dekrete zu beurteilen und zuversichtlich alles auszusprechen, was wahr scheint, mag es auch von irgendeinem Konzil gebilligt oder mißbilligt werden. Ihre Verachtung gegen katholische Verordnungen, gegen die heiligen Väter, die ökumenischen Konzilien und das kirchliche Lehramt tragen sie offen zur Schau.

Stellt man sie zur Rede, dann nimmt man ihnen die Freiheit. Durch ihre Lehre, der Glaube muß der Wissenschaft unterworfen sein, tadeln sie auf Schritt und Tritt ganz offen die Kirche. Sie behaupten, die Kirche würde sich hartnäckig weigern, ihre Dogmen den Ansichten der Philosophie zu unterwerfen und anzupassen. Nachdem sie mit der alten Theologie aufgeräumt haben, machen sie sich ans Werk, eine neue einzuführen, die ihren philosophischen Träumereien zu willen ist. (...)" [11]

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[9] Pius IX., Breve an den Fürstbischof von Breslau vom 15. Juni 1857.
[10] Gregor IX., Brief an die Prof. der Theol. zu Paris vom 7. Juli 1228.
[11] Papst Pius X. - Enzyklika Pascendi Dominici Gregis ==> http://tinyurl.com/ork6jku

Dem an der klassischen Philosophie interessierten Leser empfehlen wir das kürzlich in den editiones scholasticae erschienene Büchlein "Grundkurs Philosophie Teil I"
In allgemeinverständlicher Form und anhand von praktischen Beispielen wird der Einstieg in die klassische Philosophie erleichtert und somit auch Nichttheologen, Schülern und grundsätzlich jedermann zugänglich gemacht und zwar im Sinne des obigen Exzerptes - also eben nicht "durch profane Neuerungen, die von den Vätern gesetzten Schranken zu durchbrechen" und ebenso nicht "den Sinn der Heiligen Schrift … nach den philosophischen Lehren der Vernunft zu beugen" - sondern vielmehr um "die Hörer der Wissenschaft zu fördern" um also gleichsam als "Magd" der "Königin" zu dienen. Die klassische Philosophie verführt nicht dazu "die Tiefe der göttlichen Geheimnisse zu ergründen", sondern sie justiert uns gleichsam die Antenne der Vernunft, damit wir das Wesen Gottes in kindlicher Demut (an)erkennen. ...hier klicken ==> http://tinyurl.com/lxfpnyt

(PH 2014-07-07)