Der >Kanon des Vinzenz< als Methode zur Enttarnung von Häresien
"...„Mit welcher sicheren und zugleich allgemeingültigen Methode vermag man die Wahrheit des katholischen Glaubens von der Falschheit häretischer Entstellung zu unterscheiden“ (comm. 2,1)*.

Der zunächst erwogene Rekurs auf die Heilige Schrift allein erweist sich alsbald als Aporie, wie die kontroverse Auslegungsgeschichte der Bibel und die Argumentation mit Schrifttexten bei sämtlichen Irrlehrern beweisen.

Die Schrift muss daher im Licht der Überlieferung ausgelegt werden. Damit hat Vinzenz den consensus unanimis patrum referiert, den einhelligen Väterkonsens. Neuland beschreitet er, wenn er genaue Kriterien benennt, wie sich die authentische Tradition ermitteln lässt. Hier folgt der klassische Grundsatz, auch „Kanon des Vinzenz“ genannt:

„In der katholischen Kirche ist in besonderem Maße dafür Sorge zu tragen, dass wir das festhalten, was überall, was immer, was von allen geglaubt wurde: das ist nämlich wahrhaft und eigentlich katholisch“ (comm. 2, 5)*.

Um die Wahrheit des katholischen Glaubens von der Falschheit des häretischen Irrtums unterscheiden zu können, fordert Vinzenz also den persönlichen Anschluss an das Glaubensbewusstsein der Gesamtkirche (ecclesiasticus et catholicus sensus: comm. 2, 4)*.

Dessen verschiedene Dimensionen und Manifestationen fasst er mit der klassischen Formel zusammen:

„Es ist das festzuhalten, was überall, was immer, was von allen geglaubt wurde“ (comm. 2, 5)*.

Was es konkret bedeutet, sich bei der Wahrheitsfindung an diesen Kriterien zu orientieren, wird anschließend erläutert. Das Prinzip der Universalität (ubique) befolgt, wer den wahren Glauben der Gesamtkirche bekennt; dem Alter (semper) schließt sich an, wer gegenüber Neuerungen am Glauben aller Zeiten festhält; dem Grundsatz des Konsenses (ab omnibus) entspricht, wer sich am alten Glauben orientiert, wie er sich in Dekreten eines Universalkonzils oder im Konsens bewährter Glaubenslehrer manifestiert (comm. 2, 6; 3, 1-4)*.

Die Kriterien greifen nacheinander.

Sie sind sukzessiv anzuwenden.

Das jeweils folgende Kriterium kommt nur in Ermangelung des vorangegangenen zum Einsatz. Wenn das erste versagt, wird das zweite befragt; wenn auch dieses nicht genügt, kommt das letzte zum Tragen.

Das heißt:
- Wird eine Irrlehre nur von einer Minorität vertreten, soll man sich an das allgemeine Glaubensbewusstsein der Gesamtkirche halten;
- hat sich eine Irrlehre bereits in der ganzen Kirche verbreitet, so dass das Kriterium des „überall“ keine Unterscheidung mehr ermöglicht, dann bietet das von der Neuerung noch unberührte Alter Orientierung;
- kann schließlich eine Irrlehre selber schon ein hohes Alter aufweisen, so dass das Glaubenszeugnis auch dieser Epoche nicht mehr einhellig ist, dann ist innerhalb des Altertums auf die Beschlüsse eines allgemeinen Konzils oder, falls ein solches fehlt, auf übereinstimmende Aussagen der maßgeblichen Glaubenslehrer zu rekurrieren (comm. 3, 1-4; 27, 3-4)*. ..."

Somit erweist sich der >Kanon des Vinzenz< als Methode zur Enttarnung von Häresien.

*Exzerpte aus Vinzenz von Lérins "Commonitorium" - Gesamttext teils entnommen aus der Studie zu dessen Werk und Rezeption, herausgegeben von Prof. Dr. Michael Fiedrowicz, übersetzt von C. Barthold, Mülheim / Mosel 2011.

...hier mehr dazu lesen ==> http://www.kath-info.de/lerins.html

(ANY - c73casv)